„Technologische Souveränität beginnt nicht in Brüssel.“
Die Diskussion um die technologische Souveränität Europas ist in vollem Gange. Die neue politische Administration in den USA, Abhängigkeiten von China und geopolitische Verschiebungen werfen ein Schlaglicht auf vergangene Veräumnisse Europas, die heute zu ungesunden technologischen Abhängigkeiten führen. Die ForveG im Gespräch über technologische Souveränität und die Rolle der Forschung mit Ole Behrens-Carlsson, CRO von Nortal, ForveG-Mitglied und Sponsor des Forschungspreises des Großhandels.
Herr Behrens-Carlsson, die Diskussion über Europas technologische Souveränität gewinnt an Bedeutung. Wie definieren Sie diesen Begriff und warum ist er für Europa so entscheidend?
Technologische Souveränität bedeutet für mich, dass Europa in der Lage ist, seine eigenen technologischen Infrastrukturen und digitalen Lösungen zu entwickeln und zu betreiben, ohne übermäßige Abhängigkeit von externen Anbietern. Das ist kein Selbstzweck – es geht um wirtschaftliche Resilienz, digitale Sicherheit und unsere Fähigkeit, eigenständig Märkte zu gestalten. Die Pandemie, geopolitische Spannungen und zuletzt der Handelsstreit mit den USA haben gezeigt, wie schnell technologische Abhängigkeit zur strategischen Schwäche werden kann.
Welche Rolle spielt der Großhandel bei der Förderung der technologischen Souveränität in Europa?
Der Großhandel ist das Rückgrat unserer Versorgungsketten – und doch wird seine strategische Rolle oft unterschätzt. Dabei liegt gerade hier enormes Innovationspotenzial. Wenn Großhandelsunternehmen digitale Technologien „made in Europe“ einsetzen – etwa bei Bezahlprozessen, Logistikplattformen oder Datenanalysen – dann treiben sie die europäische Souveränität voran.
Und was kann die Forschung dazu beitragen?
Forschung spielt dabei eine Schlüsselrolle: Wir brauchen wissenschaftlich fundierte Ansätze, um Digitalisierung nicht nur effizient, sondern auch resilient zu gestalten. Deshalb finde ich Formate wie den Forschungspreis der ForveG, den wir bei Nortal mit großem Interesse begleiten, so wichtig. Sie bringen frische Ideen in die Branche – und geben Impulse für Lösungen, die wir dringend brauchen.
Wie kann Europa angesichts der aktuellen Handelskonflikte – insbesondere mit den USA – technologisch unabhängiger werden, ohne den Freihandel zu gefährden?
Souveränität heißt nicht Autarkie. Europa muss sich nicht abschotten, sondern gezielt Kompetenzen stärken – zum Beispiel in Cloud-Architekturen, KI-Entwicklung oder Cybersicherheit. Ich darf sagen, dass wir – die Nortal – uns hier als Kompetenzträger etabliert haben. Freihandel ist dazu kein Widerspruch, sondern ein Hebel: Nur wenn wir mit unseren Technologien weltweit anschlussfähig bleiben, können wir sie wirtschaftlich skalieren. Das gilt auch für den Großhandel, der auf internationale Kooperationen angewiesen ist. Es geht also um eine strategische Offenheit: starke eigene Lösungen, die im globalen Kontext wettbewerbsfähig sind.
Was können Unternehmen selbst tun, um diesen Wandel mitzugestalten?
Technologische Souveränität beginnt nicht in Brüssel, sondern in den Unternehmen. Das heißt: Mut zur Innovation, Investitionen in Forschung und Kooperationen mit Hochschulen und Start-ups. Auch wir bei Nortal setzen auf Partnerschaften – etwa mit Universitäten, in gemeinsamen Entwicklungsprojekten oder bei der Förderung junger Talente. Die Industrie kann nicht nur fordern – sie muss auch vorangehen. Gerade Branchen wie der Großhandel zeigen, dass Digitalisierung dann besonders wirksam ist, wenn sie tief aus der Praxis kommt. Genau deshalb ist Forschung so wertvoll: Sie liefert das Fundament für digitale Lösungen mit Wirkung.